Reinhard Mey

Vertreterbesuch

Reinhard Mey


Gestern mittag um halb eins klingelt es an meiner Tür
Ich geh' hin und mach' auf, und da steht ein Mann vor mir
Der sagt: „'Tschuld'gen Sie die die Störung, guten Tag
Komme von der Firma ''Lehmanns Geographischer Verlag''
Hier ist unser Vierfarbenkatalog, wähl'n Sie in Ruhe aus
Unser Slogan: 'Lehmanns Globus gehört in jedes Haus!'

Wenn Sie mir gestatten, rat' ich Ihnen Modell acht
Wird von innen her beleuchtet und aus Plexiglas gemacht
Maßstab eins zu hunderttausend, Vierfarbdruck für jedes Land
Grenzen, Städte, Kolonien alles auf dem neuesten Stand
Erläuterung und Legende liefern wir kostenlos mit
Lieferfrist ist vierzehn Tage, woll'n Sie Teilzahlungskredit?“

Danach muss er Luft holen, und das nutz' ich blitzschnell aus
Ich sag: „Ich brauch' keinen Globus, ich hab schon einen zu haus.
Zwar von 1780, wie ich eingestehen muss
Doch dafür ist er signiert von Doktor Serenissimus
Er zeig die fünf Kontinente sieben Meere“ und ich sag:
„Daran hat sich nichts geändert, bis auf den heutigen Tag!

Wozu brauch ich die Grenzen und wozu die Kolonien
Wenn die Mächtigen der Welt die Grenzen wöchentlich neu zieh'n?
Ebenso ist's mit den Städten, weil mir niemand garantiert
Dass nicht morgen ein Verrückter ganze Städte ausradiert
Und wenn die Versuche glücken, sprengen Sie die ganze Welt
Geb'n Sie zu, dann ist ein Globus doch nur rausgeschmiss'nes Geld

Seh'n Sie ein, dass mit mir heut' kein Geschäft zu machen zu machen ist?
Andererseits bin ich kein rabenschwarzer Pessimist
Eines Tages kommt der Frieden, eines Tag's siegt der Verstand -
Doch bis an den Tag geh'n sicher viele Jahr' noch durchs Land
Schreiben Sie in ihr Notizbuch für das Jahr zweitausendunddrei:
'Nicht vergessen zu besuchen, wegen Globus, zu Herrn Mey!' “