Reinhard Mey

Warten

Reinhard Mey


Ich stehe am Eingang vom zoologischen Garten.
Ein Blick auf die Normaluhr, es ist jetzt dreiviertel vier.
Ich habe ihr versprochen, dort um vier auf sie zu warten,
Doch, warten kann ich nicht, und darum steh' ich jetzt schon hier:
Mit einem Strauß von Rosen,
Gebügelten Hosen,
Geputzten Schuhen, in tiefschwarzem Glanz.
Die Zeit vergeht nicht,
Vor Ungeduld tret' ich von einem Bein aufs andre, wie ein Tanzbär.

Der Zeitungsmann gleich neben mir verkauft seine Schlagzeile,
Und leise sage ich sie schon auswendig vor mir her.
Ich kaue ein paar Erdnüsse und kauf' aus Langeweile,
Wenn sie jetzt nicht bald kommt, noch eine Tüte mehr.
Seit dreiviertel Stunden
Zähl' ich die Sekunden,
Seit dreiviertel Stunden fliegt die Zeit an mir vorbei.
Durch die Pflastersteine
Spür' ich meine Beine
Wurzeln schlagen, so wie eine Eiche.

Der Zoo schließt seine Tore, die Kassierer zähl'n die Kassen,
Der Zeitungsmann hat alle seine Zeitungen verkauft.
Ich weiß genau, sie kommt noch, ich kann mich auf sie verlassen,
Am Kiosk habe ich rasch noch ein paar Erdnüsse gekauft.
Es fängt an zu regnen,
Mit einem verwegnen
Lächeln knöpf' ich meinen Mantel zu.
Seit ein paar Minuten
Steh' ich in den Fluten,
Und ich sehe aus wie ein Pinguin.

Die Blumen sind zerpflückt, ich hab' einen Schnupfen bekommen,
Und grad' verpasse ich die letzte Straßenbahn.
Es ist jetzt zehn vor eins, ich glaub' jetzt wird sie nicht mehr kommen,
Ich werde geh'n, der Polizist sieht mich schon drohend an.
Morgen komm ich wieder,
Bring' statt Rosen Flieder.
Vielleicht zieht sie Flieder den Rosen vor?
Oder bring' ich Narzissen,
Man kann ja nie wissen,
Vielleicht kommt sie auch erst übermorgen?
Oder in zwei Wochen?
Ich hab ihr versprochen,
Am Zoo auf sie zu warten, - auf mich ist Verlaß.
Dann bringe ich Nelken.
Die nicht so schnell welken,
Und danach nur noch Blumen aus Plastik.