Reinhard Mey

Einhandsegler

Reinhard Mey


Du hast die Leinen losgeworfen mit einem Wort
Alle Ketten, aller Ballast gehen über Bord
Hast einen Strich gezogen, deinen Kurs bestimmt
Ins Logbuch eingetragen und das Ruder getrimmt
Du bist aus dem Hafen auf das offene Meer freigekommen
Der Wind fällt in die Segel und du hast Fahrt aufgenommen
Dein Bug spaltet die Wellen und pfeilschnell zischt
Dein Boot über die Kämme und es fliegt die Gischt
Dein Kielwasser säumt schäumend deine Bahn
Einhandsegler auf dem Ozean

Verlassen von allen guten Geistern
Das Spiel mit den Fluten meistern
Allein in einem zerbrechlichen Kahn
Einhandsegler auf dem Ozean

Die Strömung ist gefährlich, die Untiefe nicht weit
Du musst kreuzen gegen Dummheit und den Geist der Zeit
Die See wird rauh und kabblig, wenn du es wagst
Zu widersprechen, wenn du aufstehst und die Wahrheit sagst
Da ist keine stille Bucht, da ist kein schützendes Ufer
Niemand in der Wasserwüste hört den mahnenden Rufer
Dass du Recht hast, werden sie dir nie verzeih'n
Und dann stürzen alle Wetter zugleich auf dich ein!
Zähl' nicht auf Schönwetterfreunde im Orkan
Einhandsegler auf dem Ozean

Verlassen von allen guten Geistern
Das Spiel mit den Fluten meistern
Allein in einem zerbrechlichen Kahn
Einhandsegler auf dem Ozean

Du siehst Wellen und Wolken und du siehst kein Land
Da draußen liegt dein Los allein in deiner Hand
Du hast den Funk abgeschaltet, du brauchst sie nicht mehr
Die echten Heuchler, die falschen Klugen, die blinden Seher
Du musst nicht mit ihnen um ihre goldnen Kälber tanzen
Egal, wie sie sich über dich das Maul zerfransen
Niemand steht über dir - aber auch niemand steht dir bei
Das ist ein hoher Preis, doch dafür bist du frei!
Du bist niemands Herr und niemands Untertan
Einhandsegler auf dem Ozean

Verlassen von allen guten Geistern
Das Spiel mit den Fluten meistern
Allein in einem zerbrechlichen Kahn
Einhandsegler auf dem Ozean