Konstantin Wecker

Straßenbahnballade

Konstantin Wecker


Es ist schon wieder acht Uhr früh,
schon wieder diese Szenerie.
Es stinkt nach fast vergilbter Haut,
nach Achselhöhle und sehr laut.
Und überdeutlich räuspern sich
die Kränkelnden, fast weinerlich
verstreun sie Viren in den Raum
und dunklen Schleim. Ein böser Traum
aus Blut und Mordgier schlängelt sich
direkt ins Hirn und drängelt sich
sehr unfein auf. Man wartet schon
voll Hoffnung auf die Endstation.

Es wird noch dauern. Zwischendrin
trifft mich ein Kinderschuh am Kinn.
Ich pack das Kind am rechten Arm
und dreh ihn um. Dem Kind wird warm,
die Mutter jammert im Falsett:
Das find ich aber wirklich gar nicht nett!
(Also wirklich gar nicht!)
Und fährt mir, während sie noch spricht,
mit beiden Händen ins Gesicht.
Ich faß den Sprößling bei der Hand
und werf ihn einfach an die Wand.
Die Mutter packt der nackte Haß,
das Kindchen röchelt und wird blaß.

Da spuckt ein unbekannter Mann
mich hustend und von hinten an.
Ich dreh mich um und ramme ihm
mein Knie ins Ohr, ganz ungestüm.
Es sagt mir treffend mein Instinkt,
daß irgendwer nach Knoblauch stinkt.
Das ist zuviel. Ich greife blind
irgendwohin, wo Gegner sind.
Ich treffe gut. Ein altes Weib
brüllt: Hände weg vom Unterleib!
Ein dicker Mann der Gattung Molch
lallt irgendwas von Sittenstrolch.

Das ist der Auftakt. Wie ein Mann
entfesselt sich die Tram,
hyänengleich und Mord im Blick,
ich trete einen Schritt zurück.
Zu dumm. Ich trete auf das Kind,
das gibt sein Seelchen auf geschwind.
Ich möchte fliehn, doch voller Gier
sind sie schon alle über mir.
Und ihre Zähne bohren sich
tief in mein Fleisch ganz widerlich.
Die Welt stürzt ein, die Erde grollt.
Die Trambahn aber rollt.